Interview Samos Volunteers

Katastrophale hygienische Bedingungen, unzureichende sanitäre Einrichtungen, notdürftige Versorgung mit Seifen und Wasser – bereits lange vor Covid-19 befand sich das RIC-Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos in einem absoluten Ausnahmezustand. Als einer der zentralen Zufluchtsorte für Asylsuchende leidet das Lager unter unmenschlichen Bedingungen aufgrund von Überfüllung und unzureichender Infrastruktur. Wie die Situation vor Ort aussieht und wie jeder von uns einen Beitrag zur Hilfe leisten kann – wir haben Simone Innico und Michiel Zwijnenburg, Kommunikationskoordinatoren der Organisation "Samos Volunteers", zu einem Interview getroffen. 

Wie und wo arbeitet Ihre Organisation? 

„Samos Volunteers“ (SV) bietet allen auf Samos, Griechenland, lebenden Geflüchteten psychosoziale Unterstützung, informelle Aufklärung und Hygienedienste. Von unserem Alpha Center aus bieten wir Englisch-, Griechisch-, Französisch- und Deutschkurse auf verschiedenen Leveln an, sowie Freizeitaktivitäten wie Yoga und Fitness, Gitarren-, Klavier- und Gesangsunterricht oder Arabisch- und Farsi-Kurse für Freiwillige. 

Im Gemeinschaftsraum von Alpha kann jeder eine Tasse Tee trinken, seine Freunde treffen, Brettspiele spielen, Informationen über Dienstleistungen auf der Insel bekommen und seine Dokumente kopieren lassen - alles kostenlos. Von hier aus unterstützen wir auch LGBTQI+ Geflüchtete und Asylsuchende. 

Der Alpha Hub beherbergt neben dem Alpha Center die Bibliothek, den Ruhebereich, den Lernbereich, den Frauenbereich, Workshops für psychische Gesundheit, Stoffverteilung und Nähkurse. Von unserer Wäschestation aus, bieten wir einen kostenlosen und professionellen Wäscheservice für die Bewohner des Lagers an. Um dem steigenden Bedarf an Hygiene gerecht zu werden, eröffnete SV 2020 eine zweite Wäschestation und erweiterte sein Arsenal um zehn Maschinen und zehn Trockner. 

Mit fünf Jahren Erfahrung vor Ort sind SV auch zu einem zentralen Anlaufpunkt für Journalisten geworden, die auf die Insel kommen. Durch soziale Medien, Pressemitteilungen und offene Briefe sensibilisiert SV über die Bedingungen auf Samos und die Situation von AsylbewerberInnen und setzt sich für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Wir verstehen uns also als eine integrative Organisation und lassen unsere mehr als 30 freiwilligen HelferInnen die im Camp leben gemeinschaftlich entscheiden was sie am meisten brauchen. 

Wie viele Menschen leben derzeit im Camp? Wie lauten die Prognosen, werden noch mehr Geflüchtete erwartet? 

Derzeit leben über 4.300 Geflüchtete und Asylsuchende auf Samos, von denen fast 3.900 im Lager leben. Die Grenzkontrollen Griechenlands sind verschärft worden, das bedeutet, dass es für Geflüchtete und Asylsuchende schwieriger ist, in das Land zu kommen. Obwohl wir die genauen Zahlen nicht kennen, gehen wir davon aus, dass viele Menschen auch weiterhin versuchen die Grenze zu überqueren. Es werden also noch mehr Menschen erwartet – aber auch für sie wird es schwierig werden, Griechenland zu erreichen.   

Warum ist die Insel Samos und insbesondere das RIC so ein „Hot Spot“ für Asylsuchende? 

Der Hauptgrund für Samos als „Einstiegspunkt“ in die EU ist die Nähe zur türkischen Küste, (teilweise weniger als 30 km an einigen Küstengebieten) - insbesondere zur Provinz İzmir, die eines der wichtigsten Drehkreuze für die Migranten in der Türkei ist. Seit der Verabschiedung des sogenannten. „Hotspot-Konzeptes“ durch die EU im Jahr 2015 wurde Samos von den griechischen Behörden als einer der fünf Inselstandorte für die Ausrichtung eines RIC ausgewählt. 

Können Sie die Situation im Lager vor Covid-19 beschreiben? 

Vor der Pandemie war das Lager tatsächlich noch überfüllter. Anfang März lebten hier fast 8.000 Menschen unter sehr schwierigen Bedingungen. Alle vorhandenen Anlagen mussten mit vielen Personen geteilt werden. Denken Sie z.B. an Duschen, Toiletten, Essen, Unterkunft und Wasserversorgung – all das war bereits damals schon durch die Überfüllung stark heruntergekommen. In den Wäldern, dem inoffiziellen Bereich außerhalb des Lagers, gibt es keinen Strom, kaum Zugang zu geeigneten sanitären Einrichtungen und zu fließend Wasser. Hier war und ist das Leben besonders schwer. 

Wie hat Covid-19 die Situation verändert? 

Die Mobilitätseinschränkungen durch die Gesundheitsämter wirkten sich auf die Bevölkerung des RIC und des Lagers schwerer aus als auf den Rest der Bevölkerung, allein wegen der schon vorher heiklen Situation die Grundversorgung an den Hängen des Samos Gebirges sicherstellen zu können. Und natürlich auch, weil viele Organisationen einen Teil ihrer Aktivitäten reduzieren oder sogar ganz einstellen mussten.

Woher kommen die meisten Geflüchteten? Vor welchen Lebensbedingungen fliehen sie? 

Die Mehrheit der Bevölkerung stammt aus Syrien (36%), Afghanistan (20%) und der Demokratischen Republik Kongo (13%). Frauen machen 20% aus und Kinder 35% - von denen 8 von 10 unter 12 Jahre alt sind. 

Ungefähr 8% der Kinder sind unbegleitet oder getrennt, hauptsächlich aus Syrien und Afghanistan. Offengesagt wissen wir nicht genau, vor welchen Lebensbedingungen die Menschen fliehen. Wir wissen jedoch, dass die meisten Lagerbewohner aus Syrien und Afghanistan stammen, also Ländern, in denen seit vielen Jahren Konflikte auftreten. Andere können aufgrund ihrer politischen, sexuellen oder religiösen Ausrichtung nur durch Flucht der Verfolgung durch ihren Staat entkommen. 

Im Camp gibt es nur begrenzten Zugang zu Wasser ¬¬– wie wird es bereitgestellt? 

Es gibt mindestens zwei „Blasen“ (künstliche Tanks mit Wasserhähnen), die seit letztem Jahr von „Ärzte ohne Grenzen“ installiert wurden und teilweise den Bedarf der Bevölkerung, die in der Nähe der offiziellen RIC-Einrichtung lebt, an sauberem Trinkwasser deckt. Mit der zunehmenden Notwendigkeit von sanitären Einrichtungen aufgrund der Pandemie stieg natürlich auch der Bedarf der Wasserversorgung drastisch an. 

Glauben Sie, dass die Aufmerksamkeit der Medien für die Situation in Griechenland zu gering geworden ist? 

Insbesondere in den letzten Monaten hat die Berichterstattung in den Medien über die Situation von MigrantInnen in Griechenland tatsächlich zugenommen – allerdings nur in Bezug auf den Kontext von Lesbos und die schreckliche Situation der Menschen im (jetzt ehemaligen) Lager Moria. 

Die Lebensbedingungen von AsylbewerberInnen und Geflüchteten im Rest des Landes, sowohl auf dem Festland als auch auf den übrigen Inseln, sind keineswegs weniger ernst – aber leider immer noch deutlich unterrepräsentiert. 

Wir haben erfahren, dass Plastikmüll neben der humanitären Krise ein großes Problem im Lager ist? 

Plastikmüll ist in der Tat ein großes Problem im Lager. Die griechischen Behörden die für das Sammeln von Müll verantwortlich sind, kommen dem leider nicht nach und so kümmert sich eine niederländische nicht-staatliche Organisation vor Ort um die Abfälle. Mit einem großen Team von freiwilligen LagerbewohnerInnen, räumen sie den Müll auf. Eine weitere nicht staatliche Organisation, die sich auf das Abfallrecycling konzentrieren möchte, ist „Precious Plastic Samos“. Sie sind noch im Aufbau.  

Wie könnten andere Marken dazu beitragen? Welche wesentlichen Dinge werden benötigt? 

Um dem zunehmenden Bedarf an Hygiene während der Pandemie gerecht zu werden, haben viele nicht-staatliche Organisationen auf Samos zusammengearbeitet, um den BewohnerInnen des Lagers Hygienepakete zur Verfügung zu stellen. Die Pakete enthalten zwei Stück Seife, wiederverwendbare Gesichtsmasken und eine Händewasch-Anleitung und zur Anwendung der Maske. Wir haben bereits mehr als 10.000 Pakete verteilt – also mehr als 20.000 Masken und Seifenstücke! Und wir möchten natürlich noch mehr verteilen. Notwendig sind daher Masken und Seifen bzw. Händedesinfektionsmittel. Da unser Alpha Center aufgrund des Lockdowns geschlossen werden musste, beschlossen wir, die Schulen im Camp zu unterstützen, indem wir ihnen Unterrichtsmaterialien wie Notizbücher, Kugelschreiber, Marker und Bleistifte zur Verfügung stellten - auch davon könnten wir noch mehr gebrauchen! 

 Und wie kann einer von uns dazu beitragen, die Geflüchteten zu unterstützen? 

Hier sind einige Vorschläge, die jeder von zu Hause aus machen kann: 

  • Teilen Sie Beiträge und Neuigkeiten über die Situation von MigrantInnen auf den Ägäischen 
  • Inseln in Ihrem persönlichen Profil 
  • Unterzeichnen Sie Petitionen 
  • Teilen Sie die Lobbyarbeit von Menschenrechtsorganisationen und nicht-staatlichen 
  • Organisationen, die die Bedingungen im Lager überwachen 
  • Spenden Sie an diese Organisationen oder melden Sie sich freiwillig bei ihnen an 
  • Wenden Sie sich an lokale und nationale Nachrichtenagenturen und Politiker, um ihnen von Samos zu erzählen 
  • Der beste Weg, um zu helfen, besteht darin, die Aufmerksamkeit der internationalen Medien auf die Insel zu lenken und Organisationen zu unterstützen, die vor Ort Hilfe leisten.   
Was ist dein Wunsch für die Zukunft? 

Für die Menschen auf Samos - sowohl für MigrantInnen als auch für Einheimische - muss das Lager auf der Insel zu seinem ursprünglichen Zweck zurückkehren: Die Geflüchteten registrieren sich hier als AsylbewerberInnen und ziehen dann auf das Festland, damit sie nicht weiter die begrenzten Ressourcen der Insel belasten. Dies würde ihnen auch ermöglichen nächste Schritte zu gehen, anstatt weiterhin unter diesen schrecklichen Bedingungen zu leben. Zudem müssen sich die Lebensbedingungen in allen Asylbewerbereinrichtungen verbessern. Nicht erst morgen, sondern heute. Es ist unnötig, dass Menschen gezwungen werden, hier unter solchen Bedingungen zu leben. Und wir brauchen legalere und sicherere Wege zum Asyl. In der aktuellen politischen Situation müssen Menschen erst illegal eine Grenze überqueren, um überhaupt Asyl beantragen zu können. Dies ist ein gefährliches Unterfangen, das zu viele Leben kostet. Menschen, die internationalen Schutz benötigen, brauchen eine sicherere Möglichkeit um Asyl zu beantragen.

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