Interview Thekla Wilkening

Thekla ist aus der nachhaltigen Modeszene Deutschlands nicht mehr wegzudenken. Gemeinsam mit Pola Fendel gründete sie 2012 die „Kleiderei“, die erste Leihbibliothek für Mode. Heute macht sich die 31-jährige für nachhaltigen Konsum und „Slow Fashion“ stark. Am 27. April initiiert sie den ersten ‚Fashion Revolution – The Move’ in der Hamburger Innenstadt. Wir haben die sympathische Aktivistin zum Interview getroffen.

Was war das letzte Kleidungsstück, das Du dir gekauft hast? 

Eine Vintage-Seidenbluse. Es war Liebe auf den ersten Blick, auch wenn sie für meine Verhältnisse eher ausgefallen ist. Sonst sieht man mich eher in Jeans und weißem T-Shirt. 

Was bedeutet nachhaltiger Konsum für dich und in welchen Bereichen ist er dir besonders wichtig? 

Zum einen bewusster Umgang mit Ressourcen aber auch ein sozialer Umgang miteinander. Ich finde, man muss das Thema ganzheitlich betrachten. Ich versuche in jedem Bereich bewusst zu leben – mir ist es aber auch wichtig, ein gutes Vorbild, auch für meinen Sohn, zu sein, und nicht zu dogmatisch. Für mich gehört zur Nachhaltigkeit auch die soziale Verantwortung eines guten Miteinanders. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Konsum dem wir so lange gefrönt haben auf dem Gefühl, nicht gut genug zu sein, aufbaut. So hat es uns die Industrie konsequent eingetrichtert. Zu sich, seiner Liebe, seinen Freunden und guten Aufgaben zurückzufinden macht es einem wesentlich leichter, Verantwortung für die Welt zu übernehmen.   

2012 hast Du die Kleiderei gegründet. Was war Euer Ziel und Eure Triebfeder? 

Wir wollten nachhaltigen Kleidungskonsum möglich machen – der aber nicht schwer und voller Verantwortung ist, sondern leicht ist und Spaß macht. Mode hat auch immer viel mit Intuition zu tun – beim Kleider leihen geht es genau darum: sich auszuprobieren, neu zu erfinden. Mittlerweile mache ich das Business Development für STAY AWHILE, ein neues Verleih-Konzept. Hier gehe ich noch mehr darauf ein, Labels die Möglichkeit zu bieten, erste Schritte in Richtung Kreislaufwirtschaft zu unternehmen. Neben den Kundenbedürfnissen ist die andere Säule des Konzepts die Nutzungsdauer von Kleidung zu erhöhen – schließlich wird Kleidung aufwendig produziert und es steckt so viel Energie und Liebe in einer Kollektion. Meiner Meinung kann es nicht sein, dass diese dann nach kürzester Zeit wieder verschwinden. 

Am 27. April organisierst Du in Hamburg den ersten ‚Fashion Revolution – The Move’. Wie bist Du auf die Idee gekommen, die Demo zu initiieren? 

Seit dem Einsturz der Rana Plaza Textilfabrik in Bangladesch, 2013, bei der 1135 Näherinnen ihr Leben verloren und weitere 2438 verletzt wurden gibt es die ‚Fashion Revolution’ – eine globale Initiative, die auf die Missstände der Industrie aufmerksam machen will. Ich wurde vor ein paar Wochen gefragt, ob ich den Move für Hamburg organisieren kann. Eine Herausforderung – aber ein tolles Projekt, da es so viele Menschen zusammengebracht hat, mit deren Hilfe wir in sehr kurzer Zeit viel auf die Beine stellen konnten. Das besondere an dem Move ist, dass wir nicht nur zeigen, was schlecht ist, sondern ganz bewusst auch Handlungsalternativen zeigen wollen, also Orte und Unternehmen in Hamburg, die schon sehr viel richtig machen. 

Warum braucht die Modebranche überhaupt eine Revolution? Gibt es auch andere Industrien die einen „Change“ bräuchten? 

JA! Ich sehe das Thema global, und meiner Meinung nach müssen sich nicht nur alle Textilunternehmen, sondern alle Unternehmen die viel im globalen Süden, aber auch hier in Europa produzieren, zusammen an einen Tisch setzen. Faire Löhne zum Beispiel ist ein Thema, das die sozialen und politischen Strukturen in Produktionsländern betrifft – da reicht es nicht, wenn nur die Textilunternehmen kämpfen. Auch die Lebensmittel-, Automobil- und Elektronikindustrie muss mitziehen. Sonst entstehen neue Ungerechtigkeiten, die auch in (sexueller) Gewalt und Unruhen münden. Jeder Arbeiter sollte fair entlohnt werden, egal was er produziert. Und es muss sich auch jeder Produzent und dessen Auftraggeber darum kümmern, dass die Fabrik keine Umweltbelastung in Form von Chemikalien oder Müll für die lokale Umgebung darstellt. 

Die Fashion Industrie gilt als eine der schmutzigsten Branchen – auch im Hinblick auf unsere wertvolle Ressource Wasser (z.B. Wasserverbrauch, -verschmutzung, etc.). Was bedeutet Wasser für Dich und wie versuchst Du es zu schützen? 

Ich bin tatsächlich wegen der Nähe zum Wasser nach Hamburg gezogen! Es ist vielen gar nicht klar, dass es so viel Wasser gibt – und trotzdem so wenig Trinkwasser und so viele Orte, an denen es gar keine Versorgung mehr gibt. Oft auch, weil wir Seen zur Bewässerung von Baumwollfeldern nutzen und sie dann irgendwann brach liegen – und wir sie so hinterlassen. Ich habe nicht nur meinen Kleiderschrank umgestellt, sondern auch im Bad umgestellt, zum Beispiel auf eure Produkte. Das spart Wasser, da die Produkte viel effektiver sind (es kam sogar eine Wasserrückzahlung) und vor allem gelangt kaum Chemie und Mikroplastik ins Grundwasser, was trotz sehr guter Filteranlagen auch hier noch passiert. Das gleiche gilt in der Küche und beim Waschen. Es gibt so viele Bereiche und jede*r kann auch gut im Kleinen anfangen.   

Du kennst die Branche wie Deine (nachhaltige) Westentasche - wer sind Deiner Meinung nach die wichtigsten Pioniere in Sachen Nachhaltigkeit? 

Meine Freundin Lavinia, die im Nachhaltigkeitsbereich bei ARMEDANGELS arbeitet und Hannah, die den Nachhaltigkeitsbereich für ein großes, konventionelles Unternehmen aufbaut. Beide, weil sie Nachhaltigkeit immer wieder hinterfragen, sich nie mit den einfachen Lösungen zufriedengeben und so viel Power hineinstecken. Ansonsten bin ich auch großer Fan von Viva Con Agua, die erfolgreich zeigen, dass Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Gemeinschaft und eine große Vision möglich sind – und auch, dass die Popkultur einen großen Einfluss haben kann, wenn es darum geht, nachhaltige Ziele zu erreichen. 

Heute arbeitest Du an einem ganz neuen Projekt – kannst Du uns schon etwas darüber verraten? 

Wir entwickeln die Initiative „Let’s Start Saturday“, die Hamburger Unternehmen und Unternehmer*innen zusammenbringt, die in ihrem täglichen Business soziale und ökologische Standards umsetzen und die Vision einer nachhaltigeren Zukunft teilen. Ziel ist das Zusammenbringen des Netzwerkes, der Austausch von Wissen und ganz konkret, Veranstaltungen und Konzepte gemeinsam zu entwickeln, um den größtmöglichen Impact zu erreichen und Hamburg als Standort für bewussten Konsum mehr Power zu geben. 

„Change“ bedeutet für Dich... 

Mut! Lust auf das Leben mit dem Gedanken Verantwortung zu übernehmen. Oft sind Veränderungen auch nötig um einen guten Status Quo zu halten. Meiner Meinung nach ist vielen Menschen gar nicht klar, dass wir uns verändern müssen, damit das Leben, wie wir es gerade kennen, ansatzweise so bleiben kann. Aber es kostet Mut das anzuerkennen und natürlich muss man dafür auch seine Comfort Zone verlassen. 

Der (nachhaltigste) Tipp, der Dein Leben verändert hat... 

Wir saßen vor ein paar Jahren in Düsseldorf auf einem Podium, hauptsächlich mit Vertretern der Politik. Die Diskussion selbst war eher frustrierend, es wurde viel Verantwortung wegschoben, kaum positive Ausblicke gezeigt. Aber danach kam ein Herr zu uns der sagte: „Ich finde das richtig, was ihr da macht. Und ihr werdet etwas bewegen. McDonalds hat auch nicht erwartet, dass die größte Konkurrenz einmal viele, viele kleine Lokale sein würden, die auch schnelles aber gutes Essen anbieten.“ Seitdem glaube ich mehr denn je, dass viele kleine Handlungen einen großen Einfluss haben können. 

 Welche Schlagzeile möchtest Du gerne in Zukunft lesen? 

Kein Kind der Welt leider Hunger. Ich finde, soziale Gerechtigkeit ist die Basis für ökologische Verantwortung. Die Tatsache, dass ich mich überhaupt tagtäglich mit diesen Themen beschäftigen kann, ist ein gewisser Luxus, ein Privileg. Dessen sollten wir uns alle bewusst sein: uns geht es viel zu gut. Und genau darum haben wir diese Verantwortung und müssen sie annehmen. 

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