Somewhere beyond the rainbow
Regenbogen-Fahnen werden gehisst, Firmen-Logos umgefärbt, Diversity-Statements veröffentlicht und überhaupt wird alles plötzlich bunter. Denn es ist Juni und der steht wie jedes Jahr im Zeichen des Pride Months. Ein toller Anlass die LGBTQIA+-Szene zu feiern. LGBTQIA+ steht für Lesbian/Gay/Bisexual/Transgender/Inter*/Queer. Ziel der Community und des Monats ist es, den offenen Umgang mit der eigenen Sexualität, Selbstakzeptanz und Geschlechtsidentität zu feiern und weltweit für die Rechte einzustehen und zu demonstrieren. Das Wort „Pride“ – aus dem Englischen für „Stolz“, steht dabei für den selbstbewussten Umgang mit der eigenen Identität und sexuellen Orientierung. Super Sache, aber reicht ein Monat und ein Regenbogen, um eine tatsächliche, 100%ige Inklusion in der Gesellschaft zu erwirken?
CAUTION: A RAINBOW MAY NOT BE ENOUGH
Startschuss für den Pride Month ist bereits am 17. Mai. Denn dieser Tag markiert den IDAHOBIT (International Day Against Homophobia, Transphobia and Biphobia) und wird durch den anschließenden Pride Month im Juni ergänzt, an dem traditionell Veranstaltungen, Informationskampagnen, Demonstrationen und vieles mehr stattfinden. Der IDAHOBIT selbst hat seinen Ursprung im Jahr 2004. Damals wurde der Tag als internationaler Feier- und Informationstag zur Stärkung der Rechte der LGBTQIA+-Community ins Leben gerufen. Der 17. Mai wurde dabei als jährliches Datum gewählt, da die World Health Organization (WHO) Homosexualität am 17. Mai 1992 von der Liste der Krankheiten strich. Äh, Moment mal… Richtig gelesen: 1992! Erschreckenderweise ist es erst knapp 30 Jahre her, dass Homosexualität nicht mehr als Erkrankung gesehen wird.
Mittlerweile wird der Tag immerhin in über 130 Ländern rund um den Globus gefeiert. Doch obwohl sich in den vergangenen Jahren viel bewegt hat, ist der Kampf für eine tatsächliche Gleichberechtigung, sowie das Ausleben und die öffentliche Identifizierung als Teil der LGBTQIA+-Community noch lange nicht ausgefochten. Und in einer Welt, in der Menschen noch immer aufgrund ihrer sexuellen Identität und Sexualität entmenschlicht werden, liegt es nicht nur an den Betroffenen selbst, das Problem zu thematisieren.
1969: FROM GREENWICH TO THE STREETS
Der Christopher Street Day – je nach Land auch Pride oder Gay Pride genannt, wurde nach einer Straße in Greenwich Village, New York City, benannt. Nicht ohne Grund: In dieser Straße befand sich das Stonewall Inn, eine Schwulenbar, in der regelmäßig Polizeirazzien durchgeführt, Gäst*innen aufgeschrieben und sogar festgenommen wurden. Im Juni 1969 stießen die New Yorker Polizist*innen zum ersten Mal auf Gegenwehr. Schwule, Lesben und Transsexuelle versammelten sich und standen tagelang ür ihre Rechte ein. Damals ereigneten sich mehrere gewalttätige Demonstrationen zwischen der homosexuellen Gemeinschaft und der Polizei. Diese stellten einen wichtigen Wendepunkt in der modernen LGBTQIA+-Bewegung dar, denn es waren die ersten Demonstrationen, bei denen homosexuelle und transsexuelle Menschen gemeinsam für ihre Rechte auf der Straße demonstrierten. Ein Impuls für viele Veränderungen. Seither wurde der letzte Sonntag im Juni als Gay Pride Day gefeiert und nach und nach zum Pride Month ausgeweitet - in Deutschland zum ersten Mal 1979 in Berlin.
Ob nun Pride, CSD oder Gay Pride und ob Juni, Juli oder Dezember – wichtig ist, dass jene Demonstrationen durchgeführt werden, um dauerhaft jenes Schamgefühl, das häufig von der Gesellschaft auferlegt wird, abzuschütteln. Ziel jedes Protests sollte es sein, die eigene sexuelle Identität und Sexualität mit Selbstbewusstheit und Selbstbestimmtheit nach außen tragen zu dürfen und sich für gleiche Rechte für alle einzusetzen. Der Pride Month gilt deshalb seit jeher als wichtigster Monat, um die LGBTQIA+-Community zu ehren und das Bewusstsein für Akzeptanz und Gleichberechtigung zu stärken.
FROM PRIDE MONTH TO PRIDE MONTHS
Tatsächlich gibt so viel mehr Wege, als nur an 30 Tagen im Jahr Flagge zu hissen oder das eigene Firmenlogo einzufärben. Aufklärung der eigenen Community mittels Blogbeiträgen wie diesem zum Beispiel. Oder weiterführende Gespräche und Interviews mit LGBTQIA+-Personen, die einen Einblick geben, wie Firmen und Privatpersonen eine wirkliche Veränderung erwirken können. Oder der Einsatz von LGBTQIA+-Arbeitnehmer*innen oder Diversitymanager*innen. Und ja, auch Regenbogen-Socken sind ein Weg, insbesondere wenn die die Verkaufserlöse der Produkte an Vereine fließen, die sich für die LGBTQIA+-Community einsetzen. Aber Vorsicht vor dem sogenannten „Pinkwashing“ – denn nicht überall wo Pride drauf steht, ist auch Pride drin. Denn leider gibt es auch Firmen, die sich zwar nach außen so darstellen, aber nach innen alles andere als queer-freundlich sind, beispielsweise was die inneren Strukturen und Arbeitsabläufe angeht. All dies sind Wege, die auch ganzjährig etwas bewirken können. Und so aus einem Pride Month einfach mal viele Pride Months machen.
HOME PRIDE
Gerade in Zeiten einer weltweiten Pandemie ist das gemeinsame Demonstrieren schwieriger geworden. Das macht aber nix, denn auch abseits der Straße gibt es wunderbar lesenswerte Bücher, sehenswerte Filme und zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens, denen man ganz bequem vom Sofa aus folgen und sich so aktivistisch engagieren kann. Hier sind ein paar Beispiele aufs bzw. ins Haus:
Activist: Riccardo Simonetti
Instagram: @riccardosimonetti
Riccardo Simonetti ist Entertainer, Aktivist und offizieller LGBTQIA+-Sonderbotschafter der Europäischen Union. Auf seinem Kanal verleiht er der Community mehr Sichtbarkeit und macht sich für das Thema stark – das ganze Jahr über.
Autor: Mark Gewisser
Buch: Die pinke Linie
Wofür brauchen wir den Pride Month eigentlich noch? Und haben wir weltweit nicht schon genug für die LGBTQIA+-Community erreicht? Tja, Pustekuchen. In seinem Buch „ Die pinke Linie“ beschreibt der südafrikanische Journalist Mark Gewisser nicht nur die weltweiten Kämpfe um sexuelle Selbstbestimmung und Geschlechtsidentität, sondern sondiert auch die Konflikte und Widersprüche der gegenwärtigen Identitätspolitik. Und zeigt: ja, wir brauchen den Pride Month – und noch so viel mehr!
Film: 120 BPM
Regie: Robin Campillo
Das politische Drama aus Frankreich erzählt die Geschichte von Aids-Aktivist*innen im Paris der 90er-Jahre. Der Film schildert die aufblühende Beziehung zwischen dem HIV-positiven und etablierten Aktivisten Sean (Nahuel Pérez Biscayart) und dem HIV-negativen Newcomer Nathan (Arnaud Valois), die gegen die Pharmaunternehmen und das französische Gesundheitswesen protestieren, welche lebenswichtige Medikamente zurückhalten. Und ist dabei so nah an deren Lebensgefühl, wie Fiktion nur sein kann. Der französische Regisseur Robin Campillo war selbst Mitglied der Aktivist*innengruppe Act Up, um die es in seinem Film geht. Sie engagiert sich bis heute für die Rechte von HIV-Infizierten. Act Up steht für Aids Coalition to Unleash Power und wurde 1987 in New York gegründet. Die Organisation bildete bald weltweit Ableger. Sie machten durch Protestaktionen auf sich aufmerksam und stritten mit Pharmaunternehmen und Gesundheitsverbänden um die Veröffentlichung von Studienergebnissen und um Medikamentenfreigaben.
Organisation: ENOUGH is ENOUGH
2013 aus einer globalen Aktion gegen die zunehmende Anti-LGBTIQ*-Gesetzgebung und Gewalt in Russland geboren, macht sich die internationale Organisation ENOUGH is ENOUGH seither beispiellos für die LGBTIQ+-Community stark. Nach einem historischen Protest mit Tausenden von Teilnehmer*innen zählt die Organisation nun zu Deutschlands größten Menschenrechtsorganisationen, mit dem Fokus darauf, Bewusstsein und Bildung zu verbreiten, um eine breitere Sichtbarkeit für die Community zu erreichen. Zudem arbeiten sie mit öffentlichkeitswirksamen Social-Media-Kampagnen, um Diskriminierung durch organisierte Demonstrationen zu bekämpfen.
3 STEPS TO HELP #PROTESTTHISSHIT
Nach der Aufklärung ist vor dem Aktivismus – und umgekehrt. Denn Aufklärung ist wichtig, Einsatz aber auch. Hier drei Schritte, wie sich jede*r für die LGBTQIA+-Szene stark machen und so abseits von Fahnen Farbe bekennen kann:
1. KNOW THE RIGHTS TO DO THE RIGHT THING
Zwar ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Sachen Gleichberechtigung schon um einiges fortschrittlicher – zum Paradies unter dem Regenbogen macht uns das noch lange nicht. Wer sich für Gleichberechtigung einsetzen will, sollte sich deshalb auch über rechtliche Hintergründe informieren. Beispielsweise über das schützende Recht für Minderheiten: das Antidiskriminierungsgesetz (oder auch Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz). Das Bundesgesetz verbietet seit 2006 Diskriminierung aus Gründen der "ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität".
Anwendbar ist dieses nicht nur gegen Privatpersonen, sondern auch gegen Arbeitgeber*innen. Hilfreiche Info-Broschüren und Publikationen gibt es zum Beispiel kostenfrei auf der Seite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, sortiert nach Themengebiet. Also los geht’s!
2. HOMOSEXUAL JOKES? THAT JOKE IS ON YOU
Willkommen im Jahr 2021. Denn hier steht längst fest, dass Heterosexualität nicht zwangsweise die Norm ist. Also egal ob nachts beim Feiern, beim Kaffeekränzchen mit den Eltern oder im Gespräch mit Kollegen*innen auf der Arbeit: Bescheuerten Sprüchen oder Schimpfwörtern wie „schwul“ sollten vehement widersprochen werden. Denn wer "schwul" als Schimpfwort benutzt, ist nicht lustig sondern beleidigend (und maximal einfallslos; Anmerkung der Redaktion). Eine respektvolle Sprache, die die Wünsche und Selbstsicht der LGBTQIA+-Gemeinde berücksichtigt, sollte stattdessen zur Norm gehören. So wird die saloppe „Homo-Ehe“ ganz einfach zur "Ehe für alle" oder die "Geschlechtsumwandlung" zur "Geschlechtsangleichung“. Und dann wäre da noch die Frage mit dem Pronomen. Denn ihm/er oder ihr/sie reicht einfach nicht aus, um alle zu inkludieren. Und ja, das ist nicht immer einfach. Aber niemand erwartet sofortige Perfektion. Denn jede kleine Veränderung ist besser, als nie einen Start zu machen.
3. TAKE YOUR TIME FOR HATE
AFD-Ausrufezeichengetränkte Botschaften via Twitter abzusondern ist soooo 2018. So zumindest die gefühlte Wahrheit. Und dennoch ist gerade das Internet in der heutigen Zeit überschwemmt von Vorurteilen und Hassbotschaften gegenüber der LGBTQIA+-Community. Wird man damit konfrontiert, sollte man sich daher unbedingt Zeit nehmen: Zeit zu widersprechen. Denn jeder Kommentar ist ein aktivistischer Einsatz – egal, ob auf der Straße oder zuhause. Egal ob im Juni oder in jedem anderen Monat im Jahr.
OUR INTERVIEW
Auch wenn dieser Artikel in Abstimmung mit Ansprechpartner*innen aus der LGBTQIA+-Community entstand, ist er natürlich nur eine Sichtweise auf die Dinge. Deshalb war es unserem Team von STOP THE WATER WHILE USING ME! ein Anliegen, nicht nur über die Community zu schreiben, sondern auch mit ihr zu sprechen. In unserem Interview haben wir mit unserer ehemaligen Kollegin und langjährigen Wegbegleiterin Jana Bier über Regenbogen-Socken, aktivistische Vorbilder und den CSD gesprochen.